Maß (Mathematik)

Autor: www.NiNa.Az
03 Feb, 2025 / 18:58

Ein Maß ist in der Mathematik eine Funktion die geeigneten Teilmengen einer Grundmenge Zahlen zuordnet die als Maß für d

Maß (Mathematik)
Maß (Mathematik)
Maß (Mathematik)

Ein Maß ist in der Mathematik eine Funktion, die geeigneten Teilmengen einer Grundmenge Zahlen zuordnet, die als „Maß“ für die Größe dieser Mengen interpretiert werden können. Dabei müssen sowohl der Definitionsbereich eines Maßes, also die messbaren Mengen, als auch die Zuordnung selbst gewisse Voraussetzungen erfüllen, wie sie beispielsweise durch elementargeometrische Begriffe der Länge einer Strecke, dem Flächeninhalt einer geometrischen Figur oder dem Volumen eines Körpers nahegelegt werden.

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Ein Maß ordnet Teilmengen einer Grundmenge Zahlen zu. Das Bild illustriert die Monotonieeigenschaft von Maßen, das heißt größere Mengen haben auch ein größeres Maß.

Das Teilgebiet der Mathematik, das sich mit der Konstruktion und der Untersuchung von Maßen beschäftigt, ist die Maßtheorie. Der allgemeine Maßbegriff geht zurück auf Arbeiten von Émile Borel, Henri Léon Lebesgue, Johann Radon und Maurice René Fréchet. Dabei stehen Maße stets in engem Zusammenhang mit der Integration von Funktionen und bilden die Grundlage moderner Integralbegriffe (siehe Lebesgue-Integral). Seit der Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitsrechnung durch Andrei Kolmogorow ist die Stochastik ein weiteres großes Anwendungsgebiet für Maße. Dort werden Wahrscheinlichkeitsmaße verwendet, um zufälligen Ereignissen, die als Teilmengen eines Ergebnisraums aufgefasst werden, Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen.

Einführung und Geschichte

Der elementargeometrische Flächeninhalt ordnet ebenen geometrischen Figuren wie Rechtecken, Dreiecken oder Kreisen, also gewissen Teilmengen der euklidischen Ebene, Zahlenwerte zu. Flächeninhalte können gleich null sein, beispielsweise bei der leeren Menge, aber auch bei einzelnen Punkten oder bei Strecken. Auch der „Wert“ image (unendlich) kommt z. B. bei Halbebenen oder dem Äußeren von Kreisen als Flächeninhalt vor. Allerdings dürfen keine negativen Zahlen als Flächeninhalte auftreten.

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Abzählbare Additivität eines Maßes image: Das Maß einer abzählbaren disjunkten Vereinigung ist gleich der Summe über die Maße der einzelnen Teilmengen.

Weiterhin besitzt der Flächeninhalt ebener geometrischer Figuren eine Eigenschaft, die Additivität genannt wird: Zerlegt man eine Figur in zwei oder mehr Teile, beispielsweise ein Rechteck mittels einer Diagonale in zwei Dreiecke, dann ist der Flächeninhalt der Ausgangsfigur die Summe der Flächeninhalte der Teile. „Zerlegen“ bedeutet hier, dass die Teile paarweise disjunkt sein müssen (je zwei Teile haben also keine gemeinsamen Punkte) und dass die Vereinigung aller Teile die Ausgangsfigur ergibt. Für die Messung von Flächeninhalten komplizierterer Figuren, wie Kreisflächen oder Flächen, die zwischen Funktionsgraphen eingeschlossen sind (also für die Berechnung von Integralen), müssen Grenzwerte von Flächeninhalten betrachtet werden. Dazu ist es wichtig, dass die Additivität auch dann noch gilt, wenn Flächen in eine Folge von paarweise disjunkten Teilflächen zerlegt werden. Diese Eigenschaft wird abzählbare Additivität oder σ-Additivität genannt.

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Henri Léon Lebesgue

Die Bedeutung der σ-Additivität für den Maßbegriff wurde erstmals von Émile Borel erkannt, der 1894 bewies, dass die elementargeometrische Länge diese Eigenschaft besitzt. Das eigentliche Maßproblem formulierte und untersuchte Henri Lebesgue im Jahre 1902 in seiner Doktorarbeit: Er konstruierte ein σ-additives Maß für Teilmengen der reellen Zahlen (das Lebesgue-Maß), das die Länge von Intervallen fortsetzt, allerdings nicht für alle Teilmengen, sondern für ein System von Teilmengen, die er messbare Mengen nannte. Im Jahre 1905 zeigte Giuseppe Vitali, dass eine konsistente Erweiterung des Längenbegriffs auf alle Teilmengen der reellen Zahlen unmöglich ist, also dass das Maßproblem nicht lösbar ist.

Da wichtige Maße, wie eben das Lebesgue-Maß, nicht für alle Teilmengen (also auf der Potenzmenge) der Grundmenge definiert werden können, müssen geeignete Definitionsbereiche für Maße betrachtet werden. Die σ-Additivität legt es nahe, dass Systeme messbarer Mengen abgeschlossen gegenüber abzählbaren Mengenoperationen sein sollten. Das führt auf die Forderung, dass die messbaren Mengen eine σ-Algebra bilden müssen. Das heißt: Die Grundmenge selbst ist messbar und Komplemente sowie abzählbare Vereinigungen messbarer Mengen sind wiederum messbar.

In der Folgezeit erweiterten Thomas Jean Stieltjes und Johann Radon die Konstruktion des Lebesgue-Maßes auf allgemeinere Maße im image-dimensionalen Raum, die Lebesgue-Stieltjes-Maße. Maurice René Fréchet betrachtete ab 1915 auch Maße und Integrale auf beliebigen abstrakten Mengen. Im Jahre 1933 veröffentlichte Andrei Kolmogorow sein Lehrbuch Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung, in dem er Maßtheorie verwendet, um eine strenge axiomatische Begründung der Wahrscheinlichkeitstheorie zu geben (siehe auch Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung).

Definition

Es sei image eine σ-Algebra über einer nicht-leeren Grundmenge image. Eine Funktion image heißt Maß auf image, wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  • image
  • σ-Additivität: Für jede Folge image paarweise disjunkter Mengen aus image gilt image.

Ist die σ-Algebra aus dem Zusammenhang klar, so spricht man auch von einem Maß auf image.

Eine Teilmenge von image, die in image liegt, wird messbar genannt. Für solch ein image heißt image das Maß der Menge image. Das Tripel image wird Maßraum genannt. Das Paar image bestehend aus der Grundmenge und der darauf definierten σ-Algebra heißt Messraum oder auch messbarer Raum. Ein Maß image ist also eine auf einem Messraum definierte nicht-negative σ-additive Mengenfunktion mit image.

Das Maß image heißt Wahrscheinlichkeitsmaß (oder normiertes Maß), wenn zusätzlich image gilt. Ein Maßraum image mit einem Wahrscheinlichkeitsmaß image ist ein Wahrscheinlichkeitsraum. Ist allgemeiner image, so nennt man image ein endliches Maß. Existieren abzählbar viele Mengen, deren Maß endlich ist und deren Vereinigung ganz image ergibt, dann wird image ein σ-endliches (oder σ-finites) Maß genannt.

Anmerkungen und erste Beispiele

  • Ein Maß nimmt also nicht-negative Werte aus den erweiterten reellen Zahlen image an. Für das Rechnen mit image gelten die üblichen Konventionen, zusätzlich ist es nützlich image zu setzen.
  • Da alle Summanden der Reihe image nicht-negativ sind, ist diese entweder konvergent oder divergiert gegen image.
  • Die Forderung, dass die leere Menge das Maß null besitzt, schließt den Fall aus, dass alle image das Maß image besitzen. In der Tat lässt sich die Forderung image äquivalent ersetzen durch die Bedingung, dass ein image existiert mit image. Dagegen sind die trivialen Fälle image für alle image (das sogenannte Nullmaß) sowie image für alle image (und image) Maße im Sinne der Definition.
  • Für ein Element image wird durch
image
für image ein Maß definiert. Es wird Diracmaß an der Stelle image genannt und ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß.
  • Die Abbildung image, die jeder endlichen Menge image die Anzahl ihrer Elemente, also ihre Mächtigkeit image, sowie den unendlichen Mengen in image den Wert image zuweist, heißt Zählmaß. Das Zählmaß ist ein endliches Maß, wenn image eine endliche Menge ist, und ein σ-endliches Maß, wenn image höchstens abzählbar ist.
  • Das image-dimensionale Lebesgue-Maß image ist ein Maß auf der σ-Algebra der Lebesgue-messbaren Teilmengen von image. Es ist eindeutig bestimmt durch die Forderung, dass es den image-dimensionalen Hyperrechtecken ihr Volumen zuordnet:
image.
Das Lebesgue-Maß ist nicht endlich, aber σ-endlich.
  • Das Hausdorff-Maß ist eine Verallgemeinerung des Lebesgue-Maßes auf nicht notwendig ganzzahlige Dimensionen. Mit seiner Hilfe lässt sich die Hausdorff-Dimension definieren, ein Dimensionsbegriff, mit dem beispielsweise fraktale Mengen untersucht werden können.

Eigenschaften

Rechenregeln

Direkt aus der Definition ergeben sich die folgenden elementaren Rechenregeln für ein Maß image:

  • endliche Additivität: Für paarweise disjunkte Mengen image gilt image.
  • Subtraktivität: Für image mit image und image gilt image.
  • Monotonie: Für image mit image gilt image.
  • Für image gilt stets image. Mit dem Prinzip von Inklusion und Exklusion lässt sich diese Formel im Falle endlicher Maße auf Vereinigungen und Schnitte endlich vieler Mengen verallgemeinern.
  • σ-Subadditivität: Für eine beliebige Folge image von Mengen aus image gilt image.

Stetigkeitseigenschaften

Die folgenden Stetigkeitseigenschaften sind grundlegend für die Approximation messbarer Mengen. Sie folgen direkt aus der σ-Additivität.

  • σ-Stetigkeit von unten: Ist image eine aufsteigende Folge von Mengen aus image und image, dann gilt image.
  • σ-Stetigkeit von oben: Ist image eine absteigende Folge von Mengen aus image mit image und image, dann gilt image.

Eindeutigkeitssatz

Für zwei Maße image auf einem gemeinsamen Messraum image gilt der folgende Eindeutigkeitssatz:

Es gebe einen durchschnittsstabilen Erzeuger image von image, d. h. es gilt image und für alle image ist image, mit folgenden Eigenschaften:

  1. Für alle image gilt image, also image, und
  2. Es gibt eine Folge image von Mengen in image mit image und image für alle image.

Dann gilt image.

Für endliche Maße mit image ist die Bedingung 2 automatisch erfüllt. Insbesondere sind zwei Wahrscheinlichkeitsmaße gleich, wenn sie auf einem durchschnittsstabilen Erzeuger der Ereignisalgebra übereinstimmen.

Der Eindeutigkeitssatz liefert zum Beispiel die Eindeutigkeit der Fortsetzung eines Prämaßes zu einem Maß mittels eines äußeren Maßes und dem Maßerweiterungssatz von Carathéodory.

Linearkombinationen von Maßen

image
Poisson-Verteilungen – hier dargestellt für die Parameterwerte image (blau), image (grün) und image (rot) – sind Maße auf image. Sie lassen sich als Konvexkombinationen von Diracmaßen konstruieren.

Für eine Familie image von Maßen auf dem gleichen Messraum und für nicht-negative reelle Konstanten image wird durch image wieder ein Maß definiert. Insbesondere sind Summen und nicht-negative Vielfache von Maßen ebenfalls Maße.

Ist beispielsweise image eine abzählbare Grundmenge und image, dann ist image mit den Diracmaßen image ein Maß auf der Potenzmenge von image. Umgekehrt kann man zeigen, dass man auf diese Weise bei abzählbarer Grundmenge alle Maße auf der Potenzmenge erhält.

Sind image Wahrscheinlichkeitsmaße auf image und image nicht-negative reelle Zahlen mit image, dann ist die Konvexkombination image wieder ein Wahrscheinlichkeitsmaß. Durch Konvexkombination von Diracmaßen erhält man diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilungen, allgemein ergeben sich Mischverteilungen.

Konstruktion von Maßen

Maßerweiterungssatz

image
Constantin Carathéodory

Da die Elemente von σ-Algebren, wie beispielsweise bei der borelschen σ-Algebra auf image, oft nicht explizit angegeben werden können, werden Maße häufig durch Fortsetzung von Mengenfunktionen konstruiert. Das wichtigste Hilfsmittel hierzu ist der Maßerweiterungssatz von Carathéodory. Er besagt, dass sich jede nicht-negative σ-additive Mengenfunktion auf einem Mengenring image (ein sog. Prämaß) zu einem Maß auf der von image erzeugten σ-Algebra fortsetzen lässt. Die Fortsetzung ist eindeutig, wenn das Prämaß σ-endlich ist.

Beispielsweise bilden alle Teilmengen von image, die sich als endliche Vereinigung von achsenparallelen image-dimensionalen Intervallen darstellen lassen, einen Mengenring. Der elementare Volumeninhalt dieser sogenannten Figuren, der Jordan-Inhalt, ist ein Prämaß auf diesem Mengenring. Die von den Figuren erzeugte σ-Algebra ist die borelsche σ-Algebra und die Fortsetzung des Jordan-Inhalts nach Carathéodory ergibt das Lebesgue-Borel-Maß.

Nullmengen, Vervollständigung von Maßen

Ist image ein Maß und image eine Menge mit image, dann heißt image Nullmenge. Es ist naheliegend, Teilmengen einer Nullmenge ebenfalls das Maß null zuzuordnen. Allerdings müssen solche Mengen nicht unbedingt messbar sein, also wieder in image liegen. Ein Maßraum, in dem Teilmengen von Nullmengen stets messbar sind, wird vollständig genannt. Zu einem Maßraum, der nicht vollständig ist, lässt sich ein vollständiger Maßraum – genannt die Vervollständigung – konstruieren. Zum Beispiel ist die Vervollständigung des Lebesgue-Borel-Maßes das Lebesgue-Maß auf den Lebesgue-messbaren Teilmengen des image.

Maße auf den reellen Zahlen

Das Lebesgue-Maß image auf image ist dadurch charakterisiert, dass es Intervallen image ihre Länge image zuweist. Dessen Konstruktion kann mit Hilfe einer monoton wachsenden Funktion image verallgemeinert werden zu den Lebesgue-Stieltjes-Maßen image, die den Intervallen image die „gewichtete Länge“ image zuordnen. Wenn die Funktion image zusätzlich rechtsseitig stetig ist, dann wird hierdurch ein Prämaß auf dem Mengenring der endlichen Vereinigungen solcher Intervalle definiert. Dieses kann nach Carathéodory zu einem Maß auf den Borelmengen von image bzw. zu dessen Vervollständigung erweitert werden. Beispielsweise ergibt sich für die identische Abbildung image wieder das Lebesgue-Maß; ist dagegen image eine stückweise konstante Treppenfunktion, so erhält man Linearkombinationen von Diracmaßen.

image
Die Cantor-Funktion (hier mit 10 Iterationen dargestellt) ist Verteilungsfunktion eines Wahrscheinlichkeitsmaßes auf image, der Cantor-Verteilung.

Falls eine rechtsseitig stetige und monoton wachsende Funktion image zusätzlich noch die Bedingungen

image  und  image

erfüllt, ist das auf diese Weise konstruierte Lebesgue-Stieltjes-Maß image ein Wahrscheinlichkeitsmaß. Dessen Verteilungsfunktion ist gleich image, das bedeutet image. Umgekehrt besitzt jede Verteilungsfunktion image eines Wahrscheinlichkeitsmaßes auf image die obigen Eigenschaften. Mit Hilfe von Verteilungsfunktionen lassen sich daher auch solche Wahrscheinlichkeitsmaße auf image einfach darstellen, die weder diskret sind noch eine Lebesgue-Dichte besitzen, wie zum Beispiel die Cantor-Verteilung.

Einschränkung von Maßen

Wie jede Funktion lässt sich ein Maß image natürlich auf einen kleineren Definitionsbereich, also auf eine σ-Algebra image einschränken. Beispielsweise erhält man durch Einschränkung des Lebesgue-Maßes auf die borelsche σ-Algebra wieder das Lebesgue-Borel-Maß zurück.

Interessanter ist eine Einschränkung auf eine kleinere Grundmenge image: Ist image ein Maßraum und image, dann wird durch

image

eine σ-Algebra auf image definiert, die sogenannte Spur-σ-Algebra. Es gilt image genau dann, wenn image und image ist. Für diese image wird durch

image

ein Maß auf image definiert, das Einschränkung (oder Spur) von image auf image genannt wird. Zum Beispiel erhält man durch Einschränkung des Lebesgue-Maßes image von image auf das Intervall image wegen image ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf image, die stetige Gleichverteilung.

Bildmaß

Maße lassen sich mit Hilfe von messbaren Funktionen von einem Maßraum auf einen weiteren Messraum transformieren. Sind image und image Messräume, dann heißt eine Funktion image messbar, wenn für alle image das Urbild image in image liegt. Ist nun image ein Maß auf image, dann ist die Funktion image mit image für image ein Maß auf image. Es heißt Bildmaß von image unter image und wird häufig mit image oder image bezeichnet.

Das Verhalten von Integralen bei der Transformation von Maßen wird durch den Transformationssatz beschrieben. Durch Bildmaße ist es in der Analysis möglich, Maße auf Mannigfaltigkeiten zu konstruieren.

Bildmaße von Wahrscheinlichkeitsmaßen sind wieder Wahrscheinlichkeitsmaße. Diese Tatsache spielt bei der Betrachtung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Zufallsvariablen in der Stochastik eine wichtige Rolle.

Maße mit Dichten

image
Die Standardnormalverteilung ist ein Maß auf den reellen Zahlen, das mit Hilfe seiner Lebesgue-Dichte angegeben werden kann.

Maße werden oft als „unbestimmte Integrale“ von Funktionen bezüglich anderer Maße konstruiert. Ist image ein Maßraum und image eine nicht-negative messbare Funktion, dann wird durch

image

für image ein weiteres Maß auf image definiert. Die Funktion image wird Dichtefunktion von image bezüglich image (kurz eine image-Dichte) genannt. Eine übliche Schreibweise ist image.

Der Satz von Radon-Nikodým gibt Auskunft darüber, welche Maße mit Hilfe von Dichten dargestellt werden können: Ist image σ-endlich, so ist dies genau dann möglich, wenn alle Nullmengen von image auch Nullmengen von image sind.

In der Stochastik werden die Verteilungen stetiger Zufallsvariabler, wie beispielsweise die Normalverteilung, häufig durch Dichten bezüglich des Lebesgue-Maßes angegeben.

Produktmaße

Lässt sich eine Grundmenge als kartesisches Produkt schreiben und sind auf den einzelnen Faktoren Maße gegeben, so kann auf ihr ein sogenanntes Produktmaß konstruiert werden. Für zwei Maßräume image und image bezeichne image die Produkt-σ-Algebra. Das ist die kleinste σ-Algebra auf image, die alle Mengenprodukte image mit image und image enthält. Falls image und image σ-endlich sind, dann existiert genau ein Maß image auf image mit

image,

das Produktmaß genannt und mit image bezeichnet wird. Völlig analog lassen sich auch Produkte endlich vieler Maße bilden. Beispielsweise erhält man so das Lebesgue-Borel-Maß auf dem image-dimensionalen euklidischen Raum image als image-faches Produkt aus dem Lebesgue-Borel-Maß auf den reellen Zahlen.

Mit Hilfe des Satzes von Fubini lassen sich Integrale bezüglich eines Produktmaßes image meist berechnen, indem man schrittweise Integrationen bezüglich der einzelnen Maße image ausführt. Auf diese Weise können beispielsweise Flächen- und Volumenberechnungen auf die Bestimmung eindimensionaler Integrale zurückgeführt werden.

Im Gegensatz zu allgemeinen Maßen können unter bestimmten Voraussetzungen bei Wahrscheinlichkeitsmaßen beliebige (sogar überabzählbare) Produkte gebildet werden. Produkte von Wahrscheinlichkeitsräumen modellieren beispielsweise die unabhängige Wiederholung von Zufallsexperimenten.

Maße auf topologischen Räumen

Falls die Grundmenge image zusätzlich ein topologischer Raum ist, interessiert man sich vor allem für Maße, die ähnliche Eigenschaften wie das Lebesgue-Maß oder die Lebesgue-Stieltjes-Maße auf dem topologischen Raum image mit der Standardtopologie besitzen. Eine einfache Überlegung zeigt, dass die borelsche σ-Algebra auf image nicht nur von der Menge der image-dimensionalen Intervalle, sondern auch von den offenen Teilmengen erzeugt wird. Ist daher image ein Hausdorff-Raum mit Topologie image (also der Menge der offenen Mengen), so definiert man die borelsche σ-Algebra auf image als

image,

also als kleinste σ-Algebra, die alle offenen Mengen enthält. Natürlich enthält dann image insbesondere auch alle abgeschlossenen Mengen sowie alle Mengen, die sich als abzählbare Vereinigungen oder Durchschnitte abgeschlossener bzw. offener Mengen schreiben lassen (vgl. Borel-Hierarchie).

Borelmaße und Regularität

Ein Maß image auf einem Messraum image, image Hausdorff-Raum und image die borelsche σ-Algebra, heißt Borelmaß, wenn es lokal endlich ist. Das heißt, jedes image besitzt eine offene Umgebung, deren Maß endlich ist. Ist image zusätzlich lokalkompakt, so ist das damit äquivalent, dass alle kompakten Mengen endliches Maß besitzen.

Ein Radonmaß ist ein Borelmaß, das von innen regulär ist, das bedeutet, dass für jedes image gilt

image.

Ist ein Radonmaß zusätzlich von außen regulär, das heißt, für jedes image gilt

image,

so wird es reguläres Borelmaß genannt.

Zahlreiche wichtige Borelmaße sind regulär, es gelten nämlich unter anderem die folgenden Regularitätsaussagen:

  • Ist image ein lokalkompakter Hausdorff-Raum mit abzählbarer Basis (zweites Abzählbarkeitsaxiom), dann ist jedes Borelmaß auf image regulär.
  • Jedes Borelmaß auf einem polnischen Raum ist regulär.

Wahrscheinlichkeitsmaße auf polnischen Räumen spielen in zahlreichen Existenzfragen der Wahrscheinlichkeitstheorie eine wichtige Rolle.

Haarsches Maß

Der image-dimensionale euklidische Raum ist nicht nur ein lokalkompakter topologischer Raum, sondern sogar eine topologische Gruppe bezüglich der üblichen Vektoraddition als Verknüpfung. Das Lebesgue-Maß image respektiert auch diese Struktur in dem Sinne, dass es invariant gegenüber Translationen ist: Für alle Borelmengen image und alle image gilt

image.

Der Begriff des Haarschen Maßes verallgemeinert diese Translationsinvarianz auf linksinvariante Radonmaße auf hausdorffschen lokalkompakten topologischen Gruppen. Ein solches Maß existiert stets und ist bis auf einen konstanten Faktor eindeutig bestimmt. Das Haarsche Maß ist genau dann endlich, wenn die Gruppe kompakt ist; in diesem Fall kann es also zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß normiert werden.

Haarsche Maße spielen eine zentrale Rolle bei der harmonischen Analyse, in der Methoden der Fourier-Analysis auf allgemeine Gruppen übertragen werden.

Konvergenz von Maßen

Der wichtigste Konvergenzbegriff für Folgen von endlichen Maßen ist die schwache Konvergenz, die mit Hilfe von Integralen folgendermaßen definiert werden kann:
Es sei image ein metrischer Raum. Eine Folge image endlicher Maße auf image heißt schwach konvergent gegen ein endliches Maß image, in Zeichen image, wenn für alle beschränkten stetigen Funktionen image gilt

image.

Das Portmanteau-Theorem gibt einige andere Bedingungen an, die zur schwachen Konvergenz von Maßen äquivalent sind. Beispielsweise gilt image genau dann, wenn

image

für alle Borelmengen image mit image gilt, wobei image den topologischen Rand von image bezeichnet.

Die schwache Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsmaßen hat eine wichtige Anwendung bei der Verteilungskonvergenz von Zufallsvariablen, wie sie beim zentralen Grenzwertsatz auftritt. Schwache Konvergenz von Wahrscheinlichkeitsmaßen kann mit Hilfe von charakteristischen Funktionen untersucht werden.

Eine weitere für Anwendungen bedeutende Frage ist, wann man aus Folgen von Maßen schwach konvergente Teilfolgen auswählen kann, also wie die relativ folgenkompakten Mengen von Maßen charakterisiert werden können. Nach dem Satz von Prochorow ist eine Menge image endlicher Maße auf einem polnischen Raum image genau dann relativ folgenkompakt, wenn sie beschränkt und straff ist. Beschränktheit bedeutet hier, dass image ist und Straffheit, dass es zu jedem image ein Kompaktum image gibt mit image für alle image.

Eine Variation der schwachen Konvergenz für Radon-Maße ist die vage Konvergenz, bei der

image

für alle stetigen Funktionen mit kompaktem Träger gefordert wird.

Anwendungen

Integration

image
Im Gegensatz zur Konstruktion des Riemann-Integrals (blau) werden beim Lebesgue-Integral (rot) Flächen unter Funktionsgraphen durch Linearkombinationen der Maße von Borelmengen approximiert.

Der Begriff des Maßes ist eng mit der Integration von Funktionen verknüpft. Moderne Integralbegriffe, wie das Lebesgue-Integral und seine Verallgemeinerungen, werden meist aus einer maßtheoretischen Grundlage heraus entwickelt. Der fundamentale Zusammenhang ist dabei die Gleichung

image,

für alle image, wobei ein Maßraum image vorgegeben ist und image die Indikatorfunktion der messbaren Menge image bezeichnet, also die Funktion image mit image für image und image sonst. Mit Hilfe der gewünschten Linearitäts- und Monotonieeigenschaften lässt sich die Integration schrittweise zunächst auf einfache Funktionen, dann auf nicht-negative messbare Funktionen und schließlich auf alle reell- bzw. komplexwertigen messbaren Funktionen image mit image ausdehnen. Letztere werden image-integrierbar genannt und ihr Integral image heißt (verallgemeinertes) Lebesgue-Integral bezüglich des Maßes image oder kurz image-Integral.

Dieser Integralbegriff stellt eine starke Verallgemeinerung klassischer Integralbegriffe wie dem Riemann-Integral dar, denn er ermöglicht die Integration von Funktionen auf beliebigen Maßräumen. Das ist wiederum in der Stochastik von großer Bedeutung: Dort entspricht das Integral einer Zufallsvariable bezüglich eines gegebenen Wahrscheinlichkeitsmaßes ihrem Erwartungswert.

Allerdings ergeben sich auch für reelle Funktionen einer reellen Variablen Vorteile gegenüber dem Riemann-Integral. Hier sind vor allem die Konvergenzeigenschaften bei Vertauschung von Grenzwertbildung und Integration zu nennen, die beispielsweise durch den Satz von der monotonen Konvergenz und den Satz von der majorisierten Konvergenz beschrieben werden.

Räume integrierbarer Funktionen

Räume integrierbarer Funktionen spielen als Standardräume der Funktionalanalysis eine wichtige Rolle. Die Menge aller messbaren Funktionen image auf einem Maßraum image, die image erfüllen, also image-integrierbar sind, bildet einen Vektorraum image. Durch

image

wird eine Halbnorm auf image definiert. Identifiziert man Funktionen aus diesem Raum miteinander, falls sie sich nur auf einer Nullmenge voneinander unterscheiden, gelangt man zu einem normierten Raum image. Eine analoge Konstruktion kann man allgemeiner mit Funktionen durchführen, für die image für ein image image-integrierbar ist, und gelangt so zu den Lp-Räumen image mit der Norm

image.

Ein zentrales Ergebnis, auf das die große Bedeutung dieser Räume in Anwendungen zurückzuführen ist, ist ihre Vollständigkeit. Sie sind also für alle image Banachräume. Im wichtigen Spezialfall image stellt sich die Norm sogar als von einem Skalarprodukt induziert heraus; es handelt sich bei image daher um einen Hilbertraum.

Völlig analog lassen sich image-Räume komplexwertiger Funktionen definieren. Komplexe image-Räume sind ebenfalls Hilberträume; sie spielen eine zentrale Rolle in der Quantenmechanik, wo Zustände von Teilchen durch Elemente eines Hilbertraums beschrieben werden.

Wahrscheinlichkeitstheorie

In der Wahrscheinlichkeitstheorie werden Wahrscheinlichkeitsmaße verwendet, um zufälligen Ereignissen Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Zufallsexperimente werden durch einen Wahrscheinlichkeitsraum image beschrieben, also durch einen Maßraum, dessen Maß image die Zusatzbedingung image erfüllt. Die Grundmenge image, der Ergebnisraum, enthält die verschiedenen Ergebnisse, die das Experiment liefern kann. Die σ-Algebra image besteht aus den Ereignissen, denen das Wahrscheinlichkeitsmaß image Zahlen zwischen image und image zuordnet.

Bereits der einfachste Fall eines endlichen Ergebnisraums image mit der Potenzmenge als σ-Algebra und der durch image definierten Gleichverteilung hat zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Er spielt in der elementaren Wahrscheinlichkeitsrechnung eine zentrale Rolle zur Beschreibung von Laplace-Experimenten, wie dem Werfen eines Würfels und dem Ziehen aus einer Urne, bei denen alle Ergebnisse als gleich wahrscheinlich angenommen werden.

Wahrscheinlichkeitsmaße werden häufig als Verteilungen von Zufallsvariablen, also als Bildmaße, erzeugt. Wichtige Beispiele für Wahrscheinlichkeitsmaße auf image sind die Binomial- und die Poisson-Verteilung sowie die geometrische und hypergeometrische Verteilung. Bei den Wahrscheinlichkeitsmaßen auf image mit Lebesgue-Dichte nimmt – unter anderem wegen des zentralen Grenzwertsatzes – die Normalverteilung eine herausragende Stellung ein. Weitere Beispiele sind die stetige Gleichverteilung oder die Gammaverteilung, die zahlreiche weitere Verteilungen wie etwa die Exponentialverteilung als Spezialfall umfasst.

Die mehrdimensionale Normalverteilung ist ebenfalls ein wichtiges Beispiel für Wahrscheinlichkeitsmaße auf dem image-dimensionalen euklidischen Raum image. Noch allgemeinere Maßräume spielen in der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie eine Rolle bei der Konstruktion von stochastischen Prozessen, wie etwa das Wiener-Maß auf einem geeigneten Funktionenraum zur Beschreibung des Wiener-Prozesses (Brownsche Bewegung), der auch in der stochastischen Analysis eine zentrale Stellung einnimmt.

Statistik

Die Grundaufgabe der mathematischen Statistik besteht darin, aufgrund von Beobachtungsergebnissen zufälliger Stichproben zu Aussagen über die Verteilung von Merkmalen in einer Grundgesamtheit zu kommen (sog. schließende Statistik). Entsprechend enthält ein statistisches Modell image nicht nur ein einzelnes als bekannt angenommenes Wahrscheinlichkeitsmaß wie bei einem Wahrscheinlichkeitsraum, sondern eine ganze Familie image von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf einem gemeinsamen Messraum image. Einen wichtigen Spezialfall stellen die parametrischen Standardmodelle dar, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Parameter Vektoren aus image sind und alle image eine Dichte bezüglich eines gemeinsamen Maßes besitzen.

Aus der Beobachtung von image soll nun auf den Parameter image und damit auf das Maß image geschlossen werden. Dies geschieht in der klassischen Statistik in der Form von Punktschätzern, die mit Hilfe von Schätzfunktionen konstruiert werden, oder mit Konfidenzbereichen, die den unbekannten Parameter mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit enthalten. Mit Hilfe statistischer Tests können außerdem Hypothesen über das unbekannte Wahrscheinlichkeitsmaß geprüft werden.

Im Gegensatz dazu werden in der bayesschen Statistik Verteilungsparameter nicht als Unbekannte, sondern selbst als zufällig modelliert. Dazu wird, ausgehend von einer angenommenen A-priori-Verteilung, mit Hilfe der durch die Beobachtungsergebnisse gewonnenen Zusatzinformation eine A-posteriori-Verteilung des Parameters bestimmt. Diese Verteilungen sind im Allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaße auf dem Parameterraum image; für A-priori-Verteilungen kommen jedoch unter Umständen auch allgemeine Maße in Frage (sog. uneigentliche A-priori-Verteilungen).

Finanzmathematik

Die moderne Finanzmathematik verwendet Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie, insbesondere stochastische Prozesse, zur Modellierung der zeitlichen Entwicklung der Preise von Finanzinstrumenten. Eine zentrale Fragestellung ist die Berechnung fairer Preise von Derivaten.

image
Ein Maßwechsel – hier dargestellt durch unterschiedliche Farbintensitäten – kann einen Wiener-Prozess mit Drift (links) in ein Martingal (rechts) transformieren.

Typisch ist hierbei die Betrachtung verschiedener Wahrscheinlichkeitsmaße auf dem gleichen Messraum: Neben dem realen, durch die Risikobereitschaft der Marktteilnehmer bestimmten Maß werden risikoneutrale Maße verwendet. Faire Preise ergeben sich dann als Erwartungswerte abgezinster Auszahlungen bezüglich eines risikoneutralen Maßes. In arbitragefreien und vollkommenen Marktmodellen ist dabei Existenz und Eindeutigkeit risikoneutraler Maße sichergestellt.

Während sich einfache zeit- und preisdiskrete Modelle bereits mit elementarer Wahrscheinlichkeitsrechnung analysieren lassen, sind insbesondere bei stetigen Modellen wie dem Black-Scholes-Modell und seinen Verallgemeinerungen moderne Methoden der Martingaltheorie und der stochastischen Analysis nötig. Dabei werden als risikoneutrale Maße äquivalente Martingalmaße verwendet. Das sind Wahrscheinlichkeitsmaße, die bezüglich des realen risikobehafteten Maßes eine positive Dichte besitzen und für die der abgezinste Preisprozess ein Martingal (oder allgemeiner ein lokales Martingal) ist. Von Bedeutung ist hierbei zum Beispiel der Satz von Girsanow, der das Verhalten von Wiener-Prozessen bei einem Wechsel des Maßes beschreibt.

Verallgemeinerungen

Das Konzept des Maßes erlaubt zahlreiche Verallgemeinerungen in verschiedene Richtungen. Ein Maß im Sinne dieses Artikels wird daher zur Verdeutlichung in der Literatur manchmal positives Maß oder noch genauer σ-additives positives Maß genannt.

Durch Abschwächung der in der Definition geforderten Eigenschaften erhält man Funktionen, die in der Maßtheorie als Vorstufen von Maßen betrachtet werden. Der allgemeinste Begriff ist der einer (nicht-negativen) Mengenfunktion, also einer Funktion, die den Mengen eines Mengensystems über einer Grundmenge Werte aus image zuordnet, wobei meist noch gefordert wird, dass die leere Menge den Wert null bekommt.

Inhalt und Prämaß

Ein Inhalt ist eine endlich additive Mengenfunktion; ein σ-additiver Inhalt heißt Prämaß. Der Jordan-Inhalt auf den Jordan-messbaren Teilmengen von image ist ein Anwendungsbeispiel für eine additive Mengenfunktion, die jedoch nicht σ-additiv ist. Ein Maß ist somit ein Prämaß, dessen Definitionsbereich eine σ-Algebra ist.Äußere Maße, also Mengenfunktionen, die monoton und σ-subadditiv sind, stellen eine wichtige Zwischenstufe in der Konstruktion von Maßen aus Prämaßen nach Carathéodory dar: Ein Prämaß auf einem Mengenring wird zunächst zu einem äußeren Maß auf der ganzen Potenzmenge fortgesetzt, dessen Einschränkung auf messbare Mengen ein Maß ergibt.

Signierte und komplexe Maße

Anders geartete Verallgemeinerungen des Maßbegriffs erhält man, wenn man die Forderung aufgibt, dass die Werte in image liegen müssen, jedoch die übrigen Eigenschaften beibehält. Bei einem signierten Maß sind auch negative Werte zugelassen, es kann also Werte im Intervall image (alternativ auch image) annehmen. Bei komplexen Zahlen als Wertebereich spricht man von einem komplexen Maß. Der Wert image ist hierbei allerdings nicht zugelassen, das heißt, ein positives Maß ist zwar stets auch ein signiertes Maß, aber nur endliche Maße können auch als komplexe Maße aufgefasst werden. Im Gegensatz zu positiven Maßen bilden die signierten und die komplexen Maße über einem Messraum einen Vektorraum. Solche Räume spielen nach dem Darstellungssatz von Riesz-Markow eine wichtige Rolle als Dualräume von Räumen stetiger Funktionen. Signierte und komplexe Maße lassen sich nach dem Zerlegungssatz von Hahn und Jordan als Linearkombinationen aus positiven Maßen schreiben. Auch der Satz von Radon-Nikodým bleibt für sie gültig.

Endlich additive Maße

Endlich additive Maße verallgemeinern den Maßbegriff in zwei Beziehungen: anstelle der image-Additivität wird lediglich die endliche Additivität verlangt und wie bei signierten Maßen sind auch negative Werte erlaubt. Die englische Bezeichnung charge für ein endlich additives Maß scheint im Deutschen keine Entsprechung zu haben. Ein endlich additives Maß wird auch als signierter Inhalt bezeichnet. Ein endlich additives Maß, das keine negativen Werte annehmen kann, ist ein Inhalt, und bei einer zusätzlichen Normierung ein Wahrscheinlichkeitsinhalt. Der natürliche Definitionsbereich eines endlich additiven Maßes ist eine Mengenalgebra, manchmal werden aber auch endlich additive Maße ausschließlich auf image-Algebren betrachtet.

Häufig finden sich engere Definitionen, bei denen zusätzliche Eigenschaften eines endlich additiven Maßes verlangt werden. Einige Autoren definieren ein endlich additives Maß als reellwertig, andere als erweitert reellwertig. Einige Autoren definieren ein endlich additives Maß als beschränkte Mengenfunktion, andere nicht. In einer noch engeren Definition ist ein endlich additives Maß ein beschränkter Inhalt.

Vektorielle Maße

Eine noch weitergehende Verallgemeinerung stellen Maße mit Werten in beliebigen Banachräumen dar, die sogenannten vektoriellen Maße. Maße auf den reellen Zahlen, deren Werte orthogonale Projektionen eines Hilbertraums sind, sogenannte Spektralmaße, werden im Spektralsatz zur Darstellung selbstadjungierter Operatoren verwendet, was unter anderem in der mathematischen Beschreibung der Quantenmechanik eine wichtige Rolle spielt (siehe auch Positive Operator Valued Probability Measure). sind Hilbertraum-wertige Maße, bei denen die Maße disjunkter Mengen orthogonal zueinander sind. Mit ihrer Hilfe können Spektraldarstellungen von stationären Zeitreihen und stationären stochastischen Prozessen angegeben werden.

Zufällige Maße

Zufällige Maße sind Zufallsvariablen, deren Werte Maße sind. Sie werden beispielsweise in der stochastischen Geometrie zur Beschreibung zufälliger geometrischer Strukturen verwendet. Bei stochastischen Prozessen, deren Pfade Sprungstellen aufweisen, wie etwa den Lévy-Prozessen, können die Verteilungen dieser Sprünge durch zufällige Zählmaße dargestellt werden.

Literatur

  • Heinz Bauer: Maß- und Integrationstheorie. 2. Auflage. De Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-11-013626-0 (Gebunden), ISBN 3-11-013625-2 (Broschiert).
  • Martin Brokate, Götz Kersting: Maß und Integral. Birkhäuser, Basel 2011, ISBN 978-3-7643-9972-6.
  • Jürgen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 7. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2011, ISBN 978-3-642-17904-4.
  • Paul R. Halmos: Measure Theory. Springer, Berlin / Heidelberg / New York 1974, ISBN 3-540-90088-8.
  • Achim Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-76317-8.
  • Norbert Kusolitsch: Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie. Eine Einführung. Springer, Wien 2011, ISBN 978-3-7091-0684-6.
  • Klaus D. Schmidt: Maß und Wahrscheinlichkeit. 2. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2011, ISBN 978-3-642-21025-9.
  • Walter Rudin: Reelle und komplexe Analysis. 2. Auflage. Oldenbourg, München 2009, ISBN 978-3-486-59186-6.
  • Dirk Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-79599-5.
  • V.V. Sazonov: Measure. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org).
  • David Jao, Andrew Archibald: measure. In: PlanetMath. (englisch)
  • Eric W. Weisstein: Measure. In: MathWorld (englisch).

Einzelnachweise

  1. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 33–34.
  2. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 5.
  3. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 34.
  4. Brokate, Kersting: Maß und Integral. 2011, S. 19.
  5. Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2009, S. 215.
  6. Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2009, S. 222.
  7. Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2009, S. 226.
  8. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 63–65.
  9. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, Kapitel II, § 3.
  10. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, Kapitel II, § 8.
  11. Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2008, S. 33.
  12. Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2008, S. 43.
  13. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, Kapitel V.
  14. Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2008, Kapitel 14.
  15. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 313.
  16. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 319.
  17. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 320.
  18. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 351–377.
  19. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 385.
  20. Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie. 2011, S. 398.
  21. Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2009, Abschnitt IV.5.
  22. Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2008, 104ff.
  23. Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2009, Abschnitt IV.6.
  24. Dirk Werner: Funktionalanalysis. 6. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-72533-6, S. 13 ff.
  25. Klenke: Wahrscheinlichkeitstheorie. 2008.
  26. Hans-Otto Georgii: Stochastik: Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. 4. Auflage. de Gruyter Lehrbuch, Berlin 2009, ISBN 978-3-11-021526-7, S. 196ff.
  27. Hans-Otto Georgii: Stochastik: Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. 4. Auflage. de Gruyter Lehrbuch, Berlin 2009, ISBN 978-3-11-021526-7, Teil II.
  28. Albrecht Irle: Finanzmathematik. Die Bewertung von Derivaten. 3. Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-8348-1574-3.
  29. Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2009, S. 214–215.
  30. Werner: Einführung in die höhere Analysis. 2009, Abschnitt IV.3.
  31. Rudin: Reelle und komplexe Analysis. 2009, Kapitel 6.
  32. K. P. S. Bhaskara Rao, M. Bhaskara Rao: Theory of Charges – A Study of Finitely Additive Measures (= Pure and Applied Mathematics). Academic Press, London 1983, ISBN 0-12-4109

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Sonntag, 23 Februar, 2025
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